Propaganda und Tourismus – Besucherandrang in Venedig
Venedig ist eine fantastische, einzigartige Stadt. Darin sind sich viele einig. Wie oft habe ich in einer amerikanischen Serie gehört, dass jemand vor seinem Tod noch einmal nach Venedig möchte. Sie gehört wohl zum Traum vieler Reisender. So erklärt sich der Besucherandrang in Venedig teilweise aus diesem Mythos. Die Stadt selber pflegt dieses Image seid dem Mittelalter. Venedig besitzt Stadtmauern aus Salzwasser und öffnet sich dem Besucher ohne Stadttor. Allein dies hebt die Stadt aus den anderen ummauerten, mittelalterlichen Städten hervor. Entsprechend wirkt dieser Mythos bis heute fort und zieht die Besucher an.
Mythos Venedig
In vielen Zeiten bewarb die Stadt diesen Mythos. Insbesondere im Karneval konnte jeder mit einer Maske die Gesellschaftsschranken fallen lassen. Folglich wurde die Ordnung auf den Kopf gestellt. Junge Männer aus gutem Haus vergaßen hier ihre Herkunft und stürzten sich ins Vergnügen. Natürlich ließen sie eine Menge Geld hier. Venedig präsentierte sich im 18. Jahrhundert als die Stadt des immerwährenden Karnevals.
Heute wirbt die Stadt für einen sanfteren Tourismus. Ich erinnere mich an die Plakate vor ein paar Jahren, dass die Stadt nur schön sei, wenn die Besucher auch die Paläste von innen sähen. Dies zielte auf die Tagestouristen, die nur ein Vaporettoticket zum Markusplatz lösen und ansonsten kein Geld in der Stadt lassen. Venedig möchte am liebsten die reichen Besucher. Sie sollen möglichst einen Palast für eine gewisse Zeit mieten. Stars und Künstler sollen sich hier wohl fühlen. Immer wieder finden Hochzeiten amerikanischer Filmstars in Venedig statt. Insbesondere erweist sich die Kulisse als ideal für romantische Fotos.
Tourismus und Stadtorganismus
Unter diesen ganzen touristischen Veränderungen leidet der Stadtorganismus. Manche Teile Venedigs funktionieren als Stadt, in der Menschen wohnen und arbeiten. Wohingegen sich diese Bereiche im Vergleich zu anderen Städten immer mehr verkleinern. Der Tourismus treibt die Wohnpreise nach oben. Und wenn ich es mir recht überlege, erweist sich Wohnen in Venedig als sehr unpraktisch. Der Transport mit dem Boot ist viel aufwendiger als mit LKWs auf dem Land.
Ich erinnere mich, einmal zwei Glasern zugesehen zu haben. Sie luden eine große Schaufensterscheibe aus einem Boot und transportierten sie in die nächste enge Gasse. Ich sah förmlich die Scheibe vor meinem inneren Auge in tausende Teile zersplittern. Sie haben es geschafft die Scheibe unbeschadet zu transportieren, was für mich immer noch ein Wunder ist. Dies bleibt für mich ein Beispiel für die Unwägbarkeiten des Lebens in Venedig. Somit ziehen viele Einwohner allmählich aufs Festland, wo das Leben günstiger und einfacher ist. Dass die Lagune immer mehr Einwohner verliert, liegt nicht allein am Tourismus.
Besucherandrang in Venedig
Die Touristen kommen weiter in die mythisch aufgeladene Stadt. Der Traum wird besonders an den Anlegestellen der Zaccaria deutlich. Dort strömen in normalen Zeiten tausende Touristen aus den Booten. Die verbreiterte Promenade reicht nicht aus. Folglich schlängeln sich die Touristen um die fliegenden Händler mit ihren Andenken herum und schieben sich über die Brücken. Für das Erinnerungsfoto an der Seufzerbrücke stauen sich die Menschen auf der Brücke davor. Es gibt fast keine Möglichkeit über diese Brücke zu gelangen, ohne durch ein Foto zu spazieren. Ich kann der älteren Dame nachfühlen, die sich auf dem Weg zum Friedhof San Michele über das vollgestopfte Vaporetto lautstark beschwert.
Wenn es irgendwie geht, vermeide ich tagsüber den Bereich um den Dogenpalast. Der Markusplatz entfaltet seinen Charme und sein Wirkung erst am Abend nach 17Uhr, wenn die meisten Tagestouristen schon wieder weiter gezogen sind. Ein Aperitiv im Lavena an der Bar geht zwar auch tagsüber, aber im Schein der Laternen verführt der Ort doch gleich doppelt. Hier gilt halt auch wie fast überall in Italien. An der Bar ist der Service besser, die Preise angenehm und es stehen hier die Stammgäste neben dem Besucher. Um dem Besucherandrang in Venedig zu umgehen, lohnt sich ein mehrtägiger Aufenthalt.
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